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Spiegelkabinett

Bestehe ich
aus lauter unbedarften Fragen?

Ich blicke
in gewölbte Spiegelkugelbilder,
die Lachfalten
und Trauernarben tragen.

Ein Bild nickt gütig,
eins erblasst bitter.

Konvexe Spiegel
wölben mein Gesicht –
welch Spuren
hinterlässt mein Früher?

Ein Bild wirft Schatten,
eins glänzt in Zuversicht.

Aus welchem Glas
klirrt der Erzähler?

Welch Spiegelspuren
hinterlassen Eltern?

Das Glitzerzelt ringsum
verzerrt Erinnerungen.

Krümmt Freiheit sich
aus glatten Kugelbildern?

Im Spiegelglas der Ferne
verblassen Hoffnungen.

Ich suche dich
an alten Glitzergabelungen –

wo finde ich
das Mosaik
der ruhlos Heimatlosen?

Im kreisenden Kaleidoskop
bestaun ich Möglichkeiten.

Begab ich mich deshalb
auf Wunderweltenreisen?

Durch Glaskristalle
blinzelt unsre Zeitkulisse.

Sie formt beständig Spiegel,
die Gesichter tragen.

In welche Richtung
flüchtete das Wunderweltenwissen?

Ich weil’ noch
einen Augenblick
im Kabinett der Fragen.


Titelbild: Lucía Hernández auf Unsplash.

Eine frühere Version dieses Gedichts erschien 2021 in:
Bibliothek deutschsprachiger Gedichte – Ausgewählte Werke XXIV.

Published inLyrik
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